• Frage: Alles dreht sich immer um richtig/falsch, fake, Halluzination oder echt…ums „Produkt“. Aber in Musik geht es doch ums Erleben bzw. Selber auftreten, ich kann diese Punkte in euren Profilen nicht finden, und fürchte deshalb, es wird vergessen, wozu Kunst eigentlich da ist! Was denkt ihr dazu?

    Frage gestellt ever34bus am 17 Nov 2025.
    • Foto: Juliane Koglin

      Juliane Koglin Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Du hast völlig recht: In der Kunst geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um Erleben, Ausdruck und gemeinsames Gestalten. Wenn wir über KI sprechen, rutschen wir oft automatisch in diese Produktlogik hinein: Ist etwas „echt“? Ist es „fake“? Wer ist der oder die Künstler:in?

      Aber das hat mit dem Wesen von Kunst nur wenig zu tun.
      In der ästhetischen Bildung steht die eigene Wahrnehmung, das Experimentieren und das Erleben von Atmosphäre, Körperlichkeit und Gemeinschaft im Vordergrund. Kunst ist prinzipiell zweckfrei und gerade dadurch eröffnet sie (neue) Räume, in denen wir Dinge anders sehen, hören oder fühlen können. Kunst zwingt uns nicht, ein „korrektes Ergebnis“ zu liefern. Sie ermöglicht vielmehr neue Perspektiven, irritiert, fordert heraus und schafft Erlebnisse, die man nicht auf „richtig/falsch“ reduzieren kann.

      Deshalb geht es in meiner Arbeit nicht nur darum, was mithilfe von KI produziert wird, sondern darum, wie wir Menschen mit ihr umgehen, was wir beim Arbeiten mit ihr erleben, und wie sich dadurch ästhetische Praxis verändert.

    • Foto: Max Ackermann

      Max Ackermann Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Sehr gute Frage.

      Nachdem ich ja eher für Design und Medien, also, wenn man so will, für „Angewandte Kunst“, stehe, gibt es in der Tat diese Nähe zum „Produkt“. Ob man will oder nicht.

      Übrigens: Viele meiner Studierenden finden das ganz angenehm, weil es letztlich bedeutet, dass man später mal seine Miete damit zahlen kann, was bei Abgängern von Kunst-Akademien Freier Künste leider nicht so oft der Fall ist.

      Aber … zwei Dinge, die mir, recht spontan, dazu einfallen:

      1.) Einmal etwas provozierend gefragt: Wer sagt, dass uns „Produkte“ nicht auch ergreifen, bewegen, menschlich bereichern, erheben, traurig oder fröhlich machen können? Antwort: Sie können es! Vgl. die übliche Rede von der „Film-Industrie“ unter deren Dach ja vieles möglich ist. Auch Buch-Veröffentlichungen, auch Verlage sind eine Industrie, übrigens auch Galerien … auch Theater, wenngleich hochgradig unterstützt durch die Gesellschaft, zumindest in Deutschland. Gerade Musik ist in weiten Teilen (ein recht brutales) Geschäft. Vgl. Spotify …

      2.) „Reine“ Kunst ist eine ziemlich junge Idee in der Geschichte, Vergleiche zum Beispiel das 19. Jahrhundert. … Ein erster Höhepunkt findet sich in der Idee: „L’art pour l’art!“ (Kunst um der Kunst willen).

      Eine ganz grundlegende Schwierigkeit ist, denke ich:

      Dass man sich nicht-kommerzielle Kunst erst einmal leisten können. muss (und will). Als einzelner Mensch und Künstler bzw. Künstlerin, aber auch als Gesellschaft. Stichwort: Subventionen für Kunst- und Kultur-Einrichtungen. …

      Sollte das nicht deutlich geworden sein, ich persönlich bin durchaus dafür, dass eine Gesellschaft sich auch Experimente, Avantgarde und nicht-kommerzielle Ansätze leisten (können) sollte. Denn je breiter unser Kunst-Begriff und die Kunst-Praxis desto besser …

      Kunst darf erstaunlich viel. Und das sollte sie auch dürfen. Weil uns das als Menschen und als Gesellschaft ausgesprochen guttut.

    • Foto: Annette Gerok-Reiter

      Annette Gerok-Reiter Beantwortet am 17 Nov 2025: last edited 17 Nov 2025 12:27


      Ganz klar: Ohne Erleben gibt es keine Kunst! Da hast du völlig recht. In der Kunstphilosophie gehören das Werk bzw. das Produkt (z.B. das Musikstück) und das Erleben, d.h. die Wahrnehmung des Produkts, immer zusammen. Denn damit ein Erleben in Gang kommt, braucht man ein Produkt. Dieses regt das Erleben an, gibt Impulse, steuert es. Umgekehrt braucht das Produkt aber auch das Erleben. Sonst bleibt es ja ohne Wirkung, bleibt stumm und belanglos, Kunst will aber immer gehört, gesehen, gefühlt, gespürt werden!
      Dabei sind Künstler oder Künstlerinnen immer die ersten Erlebenden ihrer eigenen Produkte! Es ist also besonders wichtig, was die Produzierenden selbst erleben.
      Von hier aus kann man dann weiterfragen, was dieses Erleben (bei sich selbst oder anderen) ausmacht oder ausmachen soll: Sinnliche Eindrücke spiellen da sicher eine große, vielleicht die größte Rolle: Wie empfinden wir bestimmte Klänge, bestimmte Rhythmen, bestimmte Klangfarben, welche Emotionen lösen sie bei uns aus? Verändert sich unsere Stimmung? Fühlen wir uns freier? Fühlen wir uns so, dass wir besser erkennen, was wir wollen und wer wir sind? Das wäre ein super Ziel von Kunst.
      Richtig und falsch sind dagegen Kategorien, die letzlich gar nicht in den Bereich der Kunst gehören. Da geht es eher um Kategorien wie „angemessen“ oder „passend“: Passen meine Gefühle zum Musikstück? Reagiere ich angemessen? Aber selbst, wenn man in einen Widerstreit von Gefühlen gerät, kann das einen weiterführen ….Denn zentral ist es zunächst, überhaupt etwas zu erleben und dann sich zu fragen: Was erlebe ich da eigentlich und warum …?
      Hilft das? Sonst frage ruhig nochmals nach, Annette

    • Foto: Lisa Weinberger

      Lisa Weinberger Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Das ist eine sehr wichtige Beobachtung!

      Kunst und Empfinden bzw. Erleben hängen meiner Meinung nach immer sehr eng zusammen. Ich finde vielleicht etwas besonders schön oder ansprechend – jemand anderes kann da ganz anderer Meinung sein. Und gerade wenn wir etwas störend finden oder wir Dinge genauer in den Blick nehmen wollen, weil sie uns verunsichern oder uns besonders berühren, schafft Kunst es ja, dass wir sie hinterfragen, dass wir mehr über sie nachdenken oder uns über sie wundern. Gerade dann ERLEBEN wir sie – weil sie etwas persönlich mit uns macht.

      Persönliches Erleben und Empfinden sind deshalb super wichtige Punkte. Und das geht fast immer vom Produkt aus. Dann kann es uns vielleicht egal sein, ob die Kunst KI generiert ist oder „fake“. Was bedeutet „fake“ dann überhaupt noch? Ist der Fake einfach eine andere Form des Objekts oder eine Neuinterpretation? Zeig es vielleicht einfach, dass ein Produkt besonders interessant ist, sodass sich gleich mehrere damit auseinandersetzen wollen?

      Vielleicht macht unser Empfinden aber auch erst aus etwas Kunst. Es kann also in beide Richtungen gedacht werden!

      Ich bin keine Musikwissenschaftlerin aber ich denke, dass das auf ganz viele Kategorien zutrifft.

      Liebe Grüße!

    • Foto: Katharina Fezer

      Katharina Fezer Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Da sprichst Du einen wichtigen Punkt an, danke!
      Und was Du schreibst, trifft vollkommen zu – nicht nur auf die Musik, sondern auch auf die Literatur und die Bildenden Künste. Es geht immer ums Erleben, z.B. auch, wenn man einen Bleistift in die Hand nimmt und selber Gedichte schreibt oder etwas zeichnet.
      Wenn KI am Werk ist, fällt ein großer Teil dessen, was bei der Schöpfung von Kunst in und mit einem Menschen vorgeht (dafür gibt es den wissenschaftlichen Begriff „Produktionsästhetik“), völlig weg. Wenn eine wirkliche Person Kunst schafft, wird sie ja immer davon beeinflusst, wie es ihr gerade geht, wo sie ist, ob sie alleine oder mit anderen zusammen am Werk ist, wie ihre gegenwärtigen Lebensbedingungen sind (z.B. auch die politische Situation: Was darf sie überhaupt singen, sagen, malen?). Der KI ist das alles egal.
      Natürlich wird KI immer auch von Menschen bedient – es gibt ja immer einen Menschen, der der KI z.B. befiehlt: „Schreibe einen Song!“ oder „Spiele ein Lied!“ oder „Erstelle ein Gemälde!“. Aber das Erleben, wenn solche Anweisungen gegeben werden, ist ja trotzdem ein ganz anderes, als wenn alles von Anfang bis Ende selbstgemacht ist.

    • Foto: Rose Kaufhold

      Rose Kaufhold Beantwortet am 17 Nov 2025: last edited 17 Nov 2025 15:12


      Naja, ein Profil ist ja keine Kunstpositionierung – ich denke aber man kann bei einigen von uns diese Reflektion schon zumindest implizit entdecken 🙂
      Du hast natürlich völlig Recht bzw. ich stimme mit dir überein, dass es nicht um ein Produkt geht, sondern um eine Form von Wahrnehmung/ Vermittlung, meiner Meinung nach sogar Transformation!

      Zb in unserem Projekt geht es gerade darum: etwas zu erschaffen, was einen Erlebnisraum oder schlicht eine neue Perspektive bildet. Das ist nicht notwendigerweise ein Produkt zum anfassen, sondern auch ein Erlebnis selbst kann Ergebnis sein. Ich denke, das hast du schon erkannt. Macht es das deshalb dann auch zum Produkt? ZB für ein Konzerterlebnis könnte man das ja argumentieren.
      Wo fängt Produkt an und wo hört es auf – wenn es materialisiert ist? Anfassbar? Einen Zweck hat? Käuflich ist? Potenziell vermarktbar?
      Muss nicht alles potenziell vermarktbar ergo argumentierbar sein, um überhaupt verständlich zu sein – ist das die Grenze von „ich will dabei sein“ zu „hä?“?

      Gerade in der modernen Kunst und auch in der Philosophie ist der Dualismus von richtig/falsch übrigens ziemlich verpönt, das ist mehr eine öffentliche Debatte. Akademisch & auch künstlerisch gibt es meiner Erfahrung nach ein sehr aktives Bewusstsein und eine Reflektion um Zweck oder Abwesenheit von Zweck, das Nicht-Einordnen, etc.
      Ob das Erleben (in kreativer, vermittelnder oder rezipierender Form) mehr „dazu da“ ist – wäre ich mir gar nicht so sicher!
      Hat Kunst auch einen Selbstzweck?
      Existiert etwas nur, wenn es wahrgenommen wird?
      Wie verändert sich die Kunst oder die wahrnehmende Person im Prozess?

      Ich glaube, das sind alles spannende weiterführende Fragen, in denen viel Antwort und Vertständnis stecken kann 🙂

    • Foto: Daniela Schlütz

      Daniela Schlütz Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Was meine Vorredner:innen geschrieben haben, ist natürlich alles vollkommen richtig, Kunst muss erlebt werden, um sich zu entfalten.
      ABER: Um Kunst erleben zu können, braucht es ein Kunstwerk und eine:n Künstler:in, der:die dieses Werk schafft. Dieser Schaffensprozess ist für viele Künstler:innen ihr Leben und gleichzeitig ihre Lebensgrundlage. Und da kommt m.E. die Produktlogik und damit KI ins Spiel. Wenn KI-„Kunstwerke“ den Markt fluten, dann ist das in meinen Verständnis „falsch“, denn damit wird den Künstler:innen die Lebensgrundlage entzogen.
      Wir sehen das gerade bei Spotify: Die Plattform wird mit KI-generierter Musik geflutet, kein unerheblicher Teil davon von Spotify selbst verantwortet. Da die Gage der Musiker:innen (die ja sowieso minimal ist) relativ ist, d.h. durch alle Künstler:innen – aber eben auch KI-Akteure – geteilt wird, wird der Anteil einzelner Personen immer geringer. Und das macht das ganze System kaputt.
      Ich gebe zu, das war nicht genau die Frage ;), aber ich finde es wichtig, den Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren.

    • Foto: Leonie Jungen

      Leonie Jungen Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Absolut, das ist eine wichtige Beobachtung!

      Ich bin keine Musikwissenschaftlerin, aber ich forsche zu Erinnerungskultur und dort spielt auch das Erleben einer Erinnerung eine große Rolle. Musik kann solche Emotionen ähnlich „speichern“ wie Literatur. Wir verbinden mit manchen Songs ein bestimmtes Gefühl und das löst in uns einen „sense of pastness“ aus, wie man in der kognitiven Forschung sagt. Das heißt, wir erleben das Gefühl, das wir in der Vergangenheit mit diesem Song (unter-)bewusst verknüpft haben, erneut in der Gegenwart. Das ist ein unglaublich wichtiger Speicher, der ohne Erleben nicht existiert.

      Bspw. spielt die mündliche Erzählung dabei eine große Rolle (Balladen, Liedgut, Geschichten, Familienlegenden etc.) und war z.B. für die Highland-Kultur in Schottland wichtig, weil damit die Vergangenheit eines Clans von den Mitgliedern in der Gegenwart erlebbar gemacht werden konnte. Das wiederum hat Einfluss auf Identitäten. Genau dieser Aspekt wurde im 19. Jahrhundert vom schottischen Autor Sir Walter Scott zu einem Produkt gemacht, das die Highland-Kultur als mystisch romantisiert und das sich bis heute extrem erfolgreich gehalten hat („Braveheart,“ „Outlander,“ …). Die Frage der Authentizität ist da mehr als berechtigt, aber es spielten so viele politische und kulturelle Komponenten in diesen Prozess mit rein, dass es hier viel zu einfach wäre, das als fake oder Halluzination abzustempeln.

      Was ich damit sagen möchte: Kunst kann aus vielen Beweggründen entstehen, aber was wir darin sehen, ist letztlich ein Spiegel unserer eigenen Erfahrungen, Emotionen, Identitäten, Erinnerungen, Normen und Werte. Das macht letztlich große Kunst aus – sie bewegt etwas in uns.

    • Foto: René Waßmer

      René Waßmer Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Hallo ever34bus,

      Du hast natürlich völlig recht: Musik ist Erleben, ist Emotion – und zwar ganz unabhängig davon, ob ich selbst auftrete oder „nur“ zuhöre. Vor allem ist Musik auch oft ein geselliges Erlebnis, wenn ich etwa an Konzerte, an Gottesdienste, an die Mitgliedschaft in einem Chor/einer Band, an private Feiern oder das Musizieren mit Kindern denke. All das kann uns künstliche Intelligenz hoffentlich nicht nehmen. Wichtig finde ich hier auch den Gedanken, dass Musik uns weltweit in ganz verschiedenen Formen begegnet. Sie ist vielfach ein historisch weit zurückreichender und traditionsreicher Bestandteil von ganz verschiedenen Kulturen.

      Andererseits kann man eines auch nicht leugnen: Gerade kommerzielle Musik (ich denke nicht nur an Popmusik, sondern auch an Filmmusik, Game Music etc.) folgt weitgehend einem Geschäftsmodell, in dem sicher oft versucht wird, mittels KI auf günstigere oder schnellere Art und Weise „abzuliefern“ und dem Geschmack des Publikums zu entsprechen. Am Ende aber wird, so denke ich, immer auch die Konsumentin/der Konsument entscheiden, was erfolgreich ist.

      So weit meine Gedanken. Ich bin zwar kein Musikwissenschaftler, höre aber privat sehr viel und gerne Musik.

    • Foto: Oliver Ruf

      Oliver Ruf Beantwortet am 17 Nov 2025:


      Kunst ist dazu da, die Welt da draußen ein wenig erträglicher zu machen, sie auszuhalten, sie zu verstehen, sie zu fühlen. D.h. bei Kunst geht es um alles. Keine Kompromisse.

    • Foto: Vincent Fröhlich

      Vincent Fröhlich Beantwortet am 19 Nov 2025:


      Guter Punkt, verstehe Dich sehr gut. Manchmal vermisse ich mehr Kunst, die uns herausfordert, rauslockt, berührt. Zugleich bin ich großer Fan von Serien und forsche dazu auch. Serien sind schon sehr ökonomisch getrieben, das waren sie immer. Von 1001 Nacht über Feuilletonromane, Fortsetzungsromane, Seifenopern – die Geschichte serieller Narration besteht aus ökonomisch getriebenen Produkten. Das heißt aber eben nicht, dass sie nicht dennoch genauso oder anders berühren, herausfordern, kunstvoll sein können. Ich liebe die Serien „one day“, auch „beef“, „the narrow road to the deep north“, „the bear“ – ich finde das Kunst, aber eben seriell-populäre Kunst. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass historisch betrachtet Kunst als reiner Selbstzweck des subjektiven Ausdrucks oder dessen Rezeption eine funktionale Ausdifferenzierung der Neuzeit ist. Zuvor diente die Kunst dem Lob Gottes oder des zuständigen Fürsten und wurde bezahlt wie jedes andere Handwerk auch. Mit der Romantik, mit Goethe und Schiller haben wir zunehmend den Gedanken entwickelt, Kunst müsste einzigartig und von einem Genie geschaffen sein. Muss es nicht. Das zur subjektivistischen Geniekunst gewandelte Verständnis der Gegenwart macht eine funktionale, zielgerichtet kalkulierte und ökonomisch einträgliche Kunstproduktion verdächtig und ordnet Produkte den Sparten Kunst oder Unterhaltung zu. Aber gerade heutige Kunst kann doch immer beides sein.

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