• Frage: Wie steht ihr zur Aussage „Kunst kommt von Können“. Also ich glaube, dass über kurz oder lang keine/r mehr stunden-/Jahrelang Klavier üben wird, wenn immer mehr Kunst durch KI-Produkte ersetzt wird. Was meint ihr dazu?

    Frage gestellt gray34bus am 18 Nov 2025.
    • Foto: Leonie Jungen

      Leonie Jungen Beantwortet am 18 Nov 2025: last edited 18 Nov 2025 14:32


      Dem würde ich ganz entschieden widersprechen. Ich bin keine Musikwissenschaftlerin, aber ich sehe hier eine starke Parallele zur Wissenschaft im Allgemeinen.

      Nur weil KI einen Text produziert, macht das den Text nicht zu einem guten wissenschaftlichen Artikel. Dafür braucht man guten Stil, eine überzeugende Auswahl an Quellen aus Theorie und Methodik und mind. einen Untersuchungsgegenstand. Diese Auswahl kann KI nicht treffen, nur imitieren. Das macht einen KI-generierten Text zu einem hohlen Gerüst ohne richtigen Inhalt und oft mit erfunden Quellen zu einem unbrauchbaren Text. Kurzum: Dafür braucht man Können.

      Beim Klavierspielen ist das ähnlich. Da lernt man auch über die Jahre Techniken und Theorie, die helfen, Stücke zu interpretieren oder gar neu zu arrangieren und zu komponieren. Ohne dieses Wissen wiederholt man nur immer wieder stumpf das, was bereits gemacht wurde. Das können die Musikwissenschaftler:innen hier sicherlich besser einordnen, inwiefern das noch unter Kunst zählt. Auch hier braucht man Expertise und Können.

      Allerdings kommt mir hier die Motivation, Kunst zu erschaffen, zu kurz. Klavier spielen macht Spaß! Das kann ich mit mehr als 20 Jahren Klaviererfahrung sicher sagen. Vielleicht nicht immer, aber es ist ein unsagbar tolles Gefühl, Musik selbst spielen und komponieren zu können und das wird zum Teil der eignen Identität. Ich meine mich zu erinnern, gelesen zu haben, dass Kinder, die mit Musikinstrumenten aufgewachsen sind, einen anderen Zugang zu ihren Emotionen haben als solche, die es nicht sind. Vielleicht können auch hier die Musikwissenschaftler:innen mehr sagen. Aber warum sollte ich mir diesen Spaß und das damit verbundene Erleben von einer KI nehmen lassen, nur weil es sie gibt? Der Reiz, etwas neues und nie dagewesenes zu erschaffen würde für mich immer überwiegen.

      Kunst ist immer ein Ausdruck der Identität und ich kann mir keine Welt vorstellen, in der Menschen das aufgeben würden, nur weil eine KI schneller und besser Musik wiedergeben kann. Alle großen Innovationen in der Wissenschaft, Kunst und anderen Bereichen der Gesellschaft sind entstanden, weil Menschen über die Grenzen des Machbaren hinausstrebten. Wo bleibt da unser Spaß am Leben, wenn wir das einer KI überlassen würden?
      Ich glaube, wir sollten uns vor Augen führen, dass Kunst nicht immer mit dem Ziel entsteht, dass damit das große Geld verdient werden muss. Gerade in der Literatur waren die beliebtesten Romane zu ihrer Zeit alles andere als wirtschaftlich erfolgreich (z.B. Jane Austen). Trotzdem haben die Autor:innen weitergeschrieben, wurden publiziert und sind bis heute aus den Bücherregalen nicht wegzudenken.

      Kunst kommt immer vom Können, aber nicht jedes Können ist Kunst. KI ist das beste Beispiel dafür. Vielleicht gibt dir das neue Denkimpulse?

    • Foto: Katharina Fezer

      Katharina Fezer Beantwortet am 18 Nov 2025: last edited 18 Nov 2025 15:00


      Ich bin keine Musikwissenschaftlerin. Aber ich selbst habe neun Jahre lang Klavierunterricht gehabt und während dieser Zeit entsprechend viel Klavier geübt. Mittlerweile spiele ich seit dreiundzwanzig Jahren regelmäßig Klavier. Auf die große Bühne habe ich es nie geschafft (wollte ich auch nie, war immer viel zu aufgeregt vor Konzerten) und das Üben fand ich schon oft stressig und nervig und hatte keine große Lust dazu – aber ich würde das, auch in der heutigen Zeit, jederzeit wieder tun. Denn beim Klavierspielen kann ich mittlerweile super gut entspannen, mein Gehirn wird trainiert, meine Koordination wird besser, es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn ich selbst Musik schaffe – das kann keine KI ersetzen.
      Ich vermute, dass es vielen anderen auch so geht. Und die gesundheitsförderlichen Effekte des Musizierens sind durch viele Studien bewiesen worden. Es gibt, glaube ich, auch immer noch genug junge Pianist:innen, die davon träumen, wie Lang Lang oder Yuja Wang zu werden – und einige werden das wohl auch schaffen. Gute Musiker:innen werden immer noch gern gehört und gefeiert, Konzerte sind supergut besucht… deswegen: Ich glaube, es wird immer Menschen geben, die ein Instrument intensiv üben – und dann kommt Kunst (nicht nur, aber auch) von Können.

    • Foto: Rose Kaufhold

      Rose Kaufhold Beantwortet am 18 Nov 2025: last edited 18 Nov 2025 22:12


      Wissenschaftlich geantwortet: Kunst wird als Begriff ja für ganz verschiedene Sachen genutzt – und generell assoziiert jede:r je nach persönlichem und fachlichen und kulturellen Hintergrund ganz unterschiedliche Sachen.

      ZB wenn jemand sagt “Das ist eine Kunst, das so hinzubekommen”, hat das eine ganz andere Bedeutung als “Das ist wahre Kunst” oder auch “Sie ist eben Künstlerin”.

      In allen drei Kunstbegriffen schwingt ein völlig unterschiedliches Kunstverständnis mit.

      Dann gibt es noch meine persönliche Meinung, und ich bin der Meinung, dass Kunst von Können kommen soll ist Blödsinn 😉 Kunst ist und kommt nicht – im Sinne Kurt Schwitters “Alles was der Künstler spuckt ist Kunst” – die Spucke ganz extra zu produzieren können wir aber nicht. Deshalb kann Ki auch keine Kunst machen, ist eben kein Künstler… Meiner Meinung nach. 🙂 Da steckt aber auch viel Philosophie von Weg vs Ziel (analog der Frage zur Erfahrung vs Produkt) oder auch Sein vs Haben (nach dem Philosophen Erich Fromm) drin.

      PS: Zum Klavier üben etc.: Nicht alles, was einfach ist, ist besser. Viel Wert liegt im selber tun, den Weg gehen, selbst etwas können und erleben 🙂 Was ist die alternative? Dich von banalen Produkten (wie andere Fragesteller das genannt haben) berieseln lassen und feststellen, dass dich nichts wirklich bewegt und du nichts wirklich kannst? Willst du dein eigenes Sein und Können an eine Maschine abgeben? Dass du nichts mehr können willst, weil es bereits eine Masse an Mittelmäßigkeit gibt? Das wäre doch arg schade. Es liegt in unserer eigenen Verantwortung, wie viel Klavier wir üben oder wie gern wir dem Spiel unserer Freunde zuhören oder gemeinsam spielen. Wie viel wir Wertschätzung dafür weitergeben. Niemand bestimmt von außen unseren Geschmack und unser Tun, wenn wir das nicht zulassen 🙂
      Und bei Kunst wie bei Musik (oder überhaupt im Leben) geht es nicht darum, dass man die Beste sein muss, irgendwo damit “erfolgreich” oder so. Erfolg ist Tun. Kunst ist Praxis. Und tätige Kreativität hat so viele Health-Benefits! Und Musik hält das Gehirn jung und besser vernetzt, zB : https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9945036/ Ganz abgesehen von der Gemeinschaft, die man mit Kunst und Musik erleben kann und den schönen Ergebnissen – die am schönsten sind, weil man sie selbst gemacht hat. Deine Eltern freuen sich ja auch am meisten über ein Bild von dir 🙂

    • Foto: Annette Gerok-Reiter

      Annette Gerok-Reiter Beantwortet am 19 Nov 2025:


      Knifflige Frage … Sagen wir einmal, jemand übt jahrelang Klavier. Dann ist sein Ergebnis nicht nur eine großartige Präsentation eines Klavierstücks – das könnte man in der Tat durch ein KI-Resultat ersetzen. Das Resultat ist auch die Fingerbeweglichkeit, die Schulung des Hörens, die Fähigkeit, mit viel Mühe an einer Sache dran zu bleiben, das High-Gefühl, etwas erreicht zu haben, vor allem aber unzählige Klänge im Ohr zu haben, die nicht vergessen werden, Klänge, die man selbst unmittelbar auf einem Instrument hervorgebracht hat, Klänge, denen man selbst eine eigene Klangfarbe in diesem Moment hat zukommen lassen. Weil man selbst mit ganz viel Emotionen oder auch Gedanken die Kunst ausübt, begegnet der Künstler oder die Künstlerin in der Kunst ja sich selbst. In der Kunst gehört der Weg zum Ziel. Wenn jemand diesen ganzen Prozess liebt – den eigenen Umgang mit einem Instrument, mit Farben oder mit Sprache, dann kann das nicht durch KI ersetzt werde.
      Es wäre aber zu überlegen, ob das Herstellen von KI-Kunst nicht ein ähnlich intensives Erleben hervorrufen kann. Um gute KI-Kunst zu machen, muss man ja auch viel können – und eben dieses: „viel können“ steigert auch hier die Form des Erlebens: Nehmen wir einmal das Produzieren von Bildern per KI: dazu braucht man ja auch Ideen, zumindest muss man der KI sagen, welche Motive, welche Vorlagen, welche Farbtönungen sie nutzen soll, man muss sich überlegen, wieviel Vorgaben man macht oder wo der Zufall greifen soll; was man mit dem Bild zum Ausdruck bringen möchte etc. Und beim Ergebnis wird man wie bei anderen Künsten beurteilen, ob das Bild gelungen ist oder nicht. Auch hier wird man sich üben müssen darin, immer genauer KI zu nutzen etc. Also auch hier wird es Können brauchen.
      Der Unterschied ist vor allem, dass das Zufallsmoment bei KI-Kunst sehr viel höher ist und das emotional-sinnliche Erleben geringer, weil ziemlich viel Technik zwischen Ich und Endprodukt geschaltet ist, man spürt kein Instrument, man riecht keine Farbe usw. Ich frage mich, ob einem da nicht etwas fehlt und ob man dann es auch nicht auf sich nehmen möchte, stunden- und jahrelang KI-Kunst zu üben …
      Und auf der Seite derjenigen, die Kunst nicht herstellen, sondern genießen, muss jeder herausfinden, was ihn oder sie mehr anspricht … ein Bild auf einem Bildschirm oder ein Bild, wo man die Farbe als Material wahrnehmen kann … ein Musikstück, das elektronisch erklingt, oder eine Live-Performance, wo neben den Klängen die ganze Stimmung des Raums dazukommt. Ich denke, beides hat seinen Reiz; das eine wird das andere aber nicht ersetzen können.

    • Foto: Oliver Ruf

      Oliver Ruf Beantwortet am 19 Nov 2025:


      Auch künstlerische Handlungen beruhen auf Fertigkeiten. Für diese muss man in der Regel Techniken erlernen und üben, um diese ausüben zu können. Erst wenn man diese beherrscht, fängt Kunst überhaupt erst an: Indem man sich von einer solchen Technik abgrenzt oder sie verfeinert oder sie weiterentwickelt usw. KI schafft diesen Schritt (noch) nicht. Kunst ist außerdem oft mit einer ästhetischen Idee, einem Konzept oder einer Art „Ausgeliefert-Sein“ verbunden. Man gibt sich selbst dabei preis und ist offen dafür, was dann so passiert. Dafür muss aber die Grundlage bestehen (z.B. malen zu können, dichten zu können oder Klavierspielen zu können).

    • Foto: Max Ackermann

      Max Ackermann Beantwortet am 19 Nov 2025:


      „Kunst kommt von Können“? Diesen Ausspruch könnte man ja einfach so wegwischen.

      Aber ich fürchte, das ist nicht ganz so einfach.

      Ja, wir haben heute einen viel weiteren und vielleicht freieren Kunst-Begriff, als zu einer Zeit, wo Kunst noch stärker mit dem Handwerk verbunden war und/ oder den Mustern der Abbildung oder der Repräsentation entsprechen musste.

      – In der Abstraktion, aber auch in Konzeptkunst entfernt man sich von einer handwerklichen Umsetzung.

      – Joseph Beuys sagt: „Jeder Mensch ist ein Künstler“ (dazu vielleicht seine Rede vom 20. November 1985)

      Und ja, das gilt (in Teilen) auch für die Musik:

      – Punk zum Beispiel besteht aus drei Akkorden. Und einige Bands fanden es wichtig zu betonen, dass sie eigentlich ihre Instrumente nicht spielen können. Dennoch hat diese Musik viele Menschen bewegt.

      – Elektronische Musik wird oft als Demokratisierung der Musik-Produktion wahrgenommen.

      – Man könnte hier auch nach der Nutzung von Samples fragen, wo ja (wie in der Collage) bereits existierendes Material verwendet wird.

      etc. etc. etc.

      Aber: Klavier üben und KI? … Klavier spielen können (!) und KI?

      Ja, es könnte schon etwas Schmerzliches haben, wenn man manche Stücke hört, die KI da „eingespielt“ (eigentlich ja nur generiert) hat. Und erschreckend, wie erfolgreich diese vermeintliche Klaviermusik ist. Vgl. Spotify.

      Aber es ist wohl so wie auch bei Texten; Wer ein Ohr für Klaviermusik oder ein Ohr oder ein Auge für gute Sprache hat, spürt den Unterschied. Das hier passt nicht, das ist nicht gut, das ist irgendwie schräg, vielleicht falsch, vielleicht leblos oder zu schematisch. Es ist nicht sehr tief, es fehlt an Komplexität oder Emotion, es fehlt an Verständnis oder Kommunikation etc. etc. etc. etc.

      Da kann man, fürchte ich, nur darauf hoffen, dass diese Unterschiede immer noch wahrgenommen werden. Und im zweiten Schritt auch wertgeschätzt werden.

      Ganz extrem ist das in einer Live-Situation: Denn wer mag denn da eine KI hören? Und das gilt wohl gleichermaßen für ein Klavierkonzert wie für eine Lesung.

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